Überbelichtetes Portrait mit pink-gelben RGB-Verschiebungen und Pixelstörungen

Glitch Art, ein Moment der Störung und Notizen der Erinnerung

von
Digital Art 30.08.2025
Geschätzte 7 Min. Lesezeit

Eine schwierige Frage. Acht Jahre ist es her, schätze ich. Vielleicht auch mehr. So richtig sicher, wann ich mit Glitch Art begonnen habe, bin ich mir nicht. Zeitweise intensiver, dann arbeite ich in meiner Freizeit auch an nichts anderem. Mal etwas, sagen wir, sporadischer.

Anfänge ohne Klarheit, aber mit No More Heroes?

Mein erster Versuch eines Glitches? Das erste Motiv? Kein klares Bild vorhanden. Ich denke, ich erinnere mich daran, ein PNG oder ein JPEG via Photoshop als Microsoft Bitmap neu zu speichern. Die Kodierung, die diese Formate überhaupt erst nützlich macht, lässt sich nämlich nur schwierig bis gar nicht verarbeiten. Eine Bitmap jedoch, die lässt sich ohne Probleme in HxD öffnen, bearbeiten, speichern und vor allem – weiterhin als Bild betrachten. HxD war der damalige Hex-Editor meiner Wahl. Ich muss auf Reddit auf ihn gestoßen sein. Dort gab es einen Link zu Glitchet.com, eine Sammlung von Ressourcen von und für Glitch Artists.

Das erste Mal, dass mich visuelles Design wirklich inspiriert hat, war „No More Heroes“. Grunge, Punk und Grindhouse, gepaart mit Collagen-Layering, Duotone-Splits und chromatische Aberration. Bold, unapologetic, direkt und on point. Lange bevor ich mich überhaupt mit Glitch Art beschäftigt habe, war ich in Grunge und schmutzigen PopArt zu Hause – die visuelle Sprache von No More Heroes. Die Ergebnisse waren eher semi-aesthetisch. Aber darum ging es, vielleicht sogar zum ersten Mal, nicht. Natürlich habe ich meine „No More Heroes“-inspirierte „Art“ auf die Pinnwand der „No More Heroes“-Facebook-Fanpage gepostet und insgeheim auf einen Kommentar von Suda 51 persönlich gehofft. Aber, naja. Der für mich springende Punkt war: Ich hatte ernsthaft Spaß.

Das ist schon Kunst, oder?

Wahrscheinlich war der Sprung von damals zu meiner Glitch Art von heute gar nicht mal so weit. Aber wenn man acht Jahre lang etwas macht, dann kommt irgendwann der Moment, an dem man sich fragt: „Hey. Was mache ich hier eigentlich?“ – Und das meine ich rein praktisch gesprochen.„Was ist Glitch Art überhaupt?“ – Ist das nicht einfach irgendwie eine defekte Bilddatei?“ Und – ist das überhaupt „Kunst“? Viele Fragen, eine Antwort: Ja. Es ist beides. Aber genau diese Spannung zwischen technischem Defekt und bewusster Gestaltung ist in meinen Augen interessant. Meine Arbeit ist selten wirklich „kaputt“. Sie imitiert nur. Ist sie damit überhaupt Glitch Art? Auf der anderen Seite – „If it looks like a duck, swims like a duck, and quacks like a duck, then it probably is a duck.“

Tatsächlich ist man sich auch in der Kunstwissenschaft nicht völlig einig. Im Buch „The Glitch Moment(um)“ erörtert Rosa Menkman den Versuch einer Definition. Ich bin auf den Text gestoßen, als ich eine simple, wirklich einfache Definition gesucht habe. Etwas wie „Glitch Art ist, wenn man Bilder nicht mehr so richtig macht.“ Aber stattdessen leben wir in einer Welt, in der ich „The Glitch Moment(um)“ gefunden habe. Hier arbeitet sich Menkman an den Charakteristika des Glitches, akademisch anspruchsvoll, über mehrere Seiten hinweg ab. Dabei hält sie fest, dass es vielleicht gar unmöglich ist, eine richtige Definition zu finden. Ja, okay, nicht völlig, was ich suchte, aber durchaus faszinierend. Was nun folgt, ist mehr vorsichtige Beschreibung als harte Definition:

The core of a work of glitch art is therefore best understood as the momentary culmination of a history of technological and cultural movements, and as the articulation of an attitude of destructive generativity.
– Rosa Menkman, The Glitch Moment(um), S. 35

Wir lernen also: Glitch Art kompliziert. Nach Menkman besteht sie aus zwei Teilen: Vorgeschichte und der Kraft mit dem Willen zu zerstören. Durch Destruktion schaffen wir neue Formen, Muster und Bedeutung. Technologie ist in dieser Betrachtung von Glitch Art elementar. Selbstredend, denn ohne die Technologie auch kein Glitch. Mal ein komplexer Satz meinerseits dazu: „In Glitch Art agiert Technologie als abstraktes Ganzes; tanzend mit der Vorgeschichte des ursprünglichen Werks, sowie der Vorgeschichte des gesamten Mediums, in einem dissonanten Moment der Schönheit und Zerstörung. Rosa Menkman spricht in Bezug auf Glitch Art von „momentary culmination“. Also einer kurz aufblitzenden Gegebenheit. Banal beschrieben: Ein Zufallsprodukt.

Pure, alike – und die Lücke dazwischen

Das ist doch dann auch schon die Antwort, oder? Ein Bild, welches aus ästhetischen Gründen gezielt zerstört wurde? Definitiv und absolut keine Glitch Art. Schließlich folgt der visuelle Stil von „No More Heroes“ einer ähnlichen Logik. Zugegeben, eine Logik mit bedeutend mehr Splatter und rollenden Köpfen. Am Ende aber: Schönheit durch gewollte Zerstörung.

Künstler Iman Moradi unterschied 2004 zwischen Pure Glitch und Glitch-alike. Einen „Pure Glitch“ beschreibt er dabei als Resultat einer Fehlfunktion oder eines Fehlers. Es ist ein unbeabsichtigtes digitales Artefakt. Hingegen ist der „Glitch-alike“ das Ergebnis einer beabsichtigten Entscheidung des Users. Aber nicht so schnell: Rosa Menkman warnt vor zu simplen Kategorien. Auch wenn sie zunächst hilfreich erscheinen, schaffet man damit meist neue Probleme. Später äußerte sich auch Moradi selbstkritisch: „I get a bit of flak these days for making that categorisation and perhaps, rightly so. I stipulated that Glitches that are naturally discovered and found are somehow more pure, […]“ Also doch alles irgendwie ein Glitch?

Mittlerweile, da sind sich Moradi und Menkman einig, ist die Differenzierung zwischen Pure und alike nicht mehr nützlich – viel wichtiger der Kern von Glitch Art, die Zerstörung. Wer mehr zur Kunsttheorie lesen will: Rosa Menkman „The Glitch Moment(um)“ ist komplett frei verfügbar.

Rückblick: zwölf Werke, drei Ansätze, ein offenes Ende

Trotzdem, um meine Arbeiten zu beschreiben, helfen Moradis alte Kategorien. Am ehesten lässt sich alles, was ich schaffe als Glitch-alike verstehen. Mein Schaffensprozess gestaltet sich in der Praxis zwar eher chaotisch, aber im Sinne von Glitch Art ist er als „artificial“ und „deliberate“ zu beschreiben. Meine Tools sind die eines typischen Digital Artists: Photoshop, meist digitale Fotos und Zeit. Gelegentlich zerstöre ich auch Dateien mit Wave-Bearbeitung oder, wie erwähnt, einem Hex-Editor. Auf der komplett anderen Seite des Spektrums finde ich hardwarebasierte Glitch Art extrem spannend, wie beispielsweise die Werke von Zoë F Wolfe. Dennoch bin ich klar in der Software zu Hause.

In den vergangenen zwölf Monaten habe ich insgesamt zwölf kleinere Werke erstellt. Drei „Bildreihen“, wenn man so möchte: „Die Sonic-Reihe“, „digitalGhost“ und „square“. Die Sonic-Reihe ist während einer Hyperfokus-Phase auf Sonic the Hedgehog zum Jahresübergang entstanden. Die Titel „somewhereInChaos“ oder „neverOverJustAnotherDay“ sind schlicht Zitate aus Sonic-Songs, die gewollt keine tiefere Bedeutung haben. „Ow-the-edge“ als absoluter Selbstzweck.

Auch die Reihe „digitalGhost“ entstand recht spontan. Die Spielreihe „Projekt Zero“ (auch als Fatal Frame bekannt) inspirierte mich durch ihre mühelose Verschmelzung von Eleganz und Horror. Die Thematik dahinter beschäftigt mich weiter. Vielleicht mache ich da nochmal was Größeres draus.

Square hingegen war eine reine Technikprobe. Im Normalfall arbeite ich nur mit kompletten Fotos, keinen Fotomontagen. In dieser Bildreihe habe ich mir die Frage gestellt, ob gezielte Montage einen gewissen Effekt erzeugen kann – Verbindung über mehrere Werke hinweg. In diesen Bildern ist es die Blüte, welche zu keinem der ursprünglichen Bildern gehörte. Insgesamt waren drei Werke geplant. Das dritte Werk habe ich jedoch nie fertiggestellt. Wirkung und Ergebnis – zu weich und unbefriedigend. Und diese Frage war bereits nach dem zweiten Werk ausreichend beantwortet.

So schauen wir also auf zwölf Werke in zwölf Monaten zurück. Nicht schlecht für jemanden, der vor der Recherche für diesen Post nicht mal sicher war, ob er wirklich Glitch Art macht.

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